„Informationen, die uns schockieren“: Eine Stellungnahme zur geplanten Verlegung des ARD‑„Weltspiegels“
07.07.2021 •Seit dem 1. Mai 2021 ist Christine Strobl neue ARD-Programmdirektorin (vgl. MK-Meldung). Die ARD arbeitet nun an Veränderungen im Programmschema des Ersten. Unter anderem soll das Auslandsmagazin „Weltspiegel“ von seinem gewohnten Platz am Sonntag (19.20 bis 20.00 Uhr) weichen und auf den späten Montagabend verlegt werden (22.50 Uhr, nach den „Tagesthemen“). Dagegen protestieren die ARD-„Weltspiegel“-Redaktionen und die Fernseh-Auslandskorrespondenten in einer gemeinsamen „Stellungnahme zur Diskussion um das neue Programmschema der ARD“. Das Papier vom 2. Juli 2021, das die MK im Folgenden im kompletten Wortlaut dokumentiert, haben 45 Personen unterschrieben. Im Jahr 2019, als noch Volker Herres ARD-Programmdirektor war, hatte es schon einmal den Versuch gegeben, den „Weltspiegel“ auf einen schlechteren Sendeplatz zu verlegen. Damals war das Vorhaben an starkem Widerstand dagegen gescheitert (vgl. diesen MK-Artikel und diese Dokumentation). • MK
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Die „Stellungnahme zur Diskussion um das neue Programmschema der ARD“ im Wortaut:
Liebe Intendant:innen,
liebe Direktor:innen,
liebe Chefredakteur:innen,
über verschiedene Wege erreichen uns Details über das geplante neue Sendeschema im Ersten. Informationen, die uns schockieren.
Erst vor zwei Jahren waren wir mit ähnlichen Bestrebungen konfrontiert. Damals hatten die Intendant:innen sich für die Beibehaltung des angestammten Sendeplatzes ausgesprochen. Die ARD wolle den Trumpf, den sie mit dem „Weltspiegel“ habe, künftig noch deutlicher ausspielen, linear wie non-linear. In der Folge erging der Auftrag an die „Weltspiegel“-Häuser, den Markenkern zu schärfen und ein umfassenderes Digitalkonzept zu erstellen. Dem sind wir mit großem Engagement und auch Erfolg im Digitalen nachgekommen. Die von der „Sportschau“ erhoffte Quotensteigerung ist nicht nur ausgeblieben, wir kämpfen sogar mit einem deutlich schlechteren Vorlauf als während der „Lindenstraße“. Der „Weltspiegel“ hat sich in Anbetracht dessen, nach Auskunft der Medienforscher aus München, absolut gut geschlagen.
Der „Weltspiegel“ gehört zum Kernauftrag der ARD. Hier werden Auslandsinhalte hintergründig beleuchtet. Nirgendwo ist das verzweigte Netz von Korrespondent:innen besser sichtbar als im „Weltspiegel“. Ein Alleinstellungsmerkmal, das die ARD zu Recht offensiv bewirbt. Zuletzt hatte das ARD-Qualitätsmanagement den „Nutzwert“ bei den Zuschauer:innen im März 2020 erhoben. Daraus ergibt sich eine ausgesprochen hohe Akzeptanz für die lineare Sendung und eingeleitete Neuausrichtung. Nach Angaben des ARD-Qualitätsmanagements erreicht der lineare „Weltspiegel“ auch Topwerte bei Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit.
Die Mediathek durch filmische Formate zu stärken, finden wir richtig und können diesen Gedanken voll und ganz unterstützen. Auch wir sehen darin die Chance, insbesondere die non-lineare Reichweite zu steigern. Gerade deshalb verstehen wir nicht, dass die „Weltspiegel-Reportage“ im neuen Sendeschema keinen Platz findet.
Die Verschiebung des seit 58 Jahren eingeübten „Weltspiegel“-Sendeplatzes am Sonntagabend auf den Montag um 22.50 Uhr aber ist eine drastische Schwächung der Auslandsberichterstattung im Ersten. Die absoluten Zuschauerzahlen werden uns nicht zufriedenstellen. Derzeit liegen sie Montagabend nach den „Tagesthemen“ durchschnittlich bei ca. 1,3 Millionen, gegenüber derzeit rund 2,1 Millionen am Sonntagabend. Unser lineares Stammpublikum ist nicht jung und wird uns um diese Uhrzeit wohl kaum im bisherigen Maße treu bleiben.
Alle anderen Magazine im Ersten, ob Politik oder Wirtschaft, sind unter der Woche vor den „Tagesthemen“ platziert, allein das Ausland sendet dann in der „Todeszone“ (denn nach allem, was wir jahrelang von der Medienforschung der ARD gehört haben, suchen die Zuschauer zu so später Uhrzeit keine Magazinform mehr).
Hinzu kommt offenbar eine Reduzierung der Sendeplätze insgesamt: 39 Ausgaben anstelle von 44 oder 45 pro Jahr. Die „Weltspiegel-Reportage“ entfällt. Möglicherweise auch das Format „Weltspiegel Extra“. Kollegen:innen werten das summa summarum als Halbierung der Auslandsberichterstattung.
Das klingt gerade so, als würden wir nicht in einer zunehmend vernetzten Welt leben, in der politische Krisen und Kriege, Pandemien, Klimawandel und andere globale Themen permanent und zunehmend unser Leben beeinflussen.
Alles in allem birgt das geplante Schema, so wie wir es jetzt interpretieren müssen, keine guten Perspektiven für die Auslandsberichterstattung. Eine Stärkung des politischen Renommees der ARD können wir nicht erkennen. Zumindest nicht, was die internationale Politik anbetrifft.
Nehmen wir als ARD die hintergründige Auslandsberichterstattung ernst, muss sich dies auch im Sendeplatz widerspiegeln. Und das ist aus unserer Sicht ein Sendeplatz in der Primetime vor den „Tagesthemen“. Oder natürlich der eingeübte Sendeplatz sonntags 19.20 Uhr.
Herzliche Grüße
Brigitte Abold
Natalie Amiri
Joachim Angerer, Moskau
Tamara Anthony, Peking
Natalia Bachmayer, Madrid
Olaf Bock, Warschau
Ralf Borchard
Claudia Buckenmaier, Washington
Ute Brucker
Annette Dittert, London
Matthias Ebert, Rio de Janeiro
Gudrun Engel, Brüssel
Susanne Glass, Tel Aviv
Michael Grytz, Brüssel
Norbert Hahn, Nairobi
Daniel Hechler, Kairo
Joana Jäschke
Christiane Justus
Kerstin Klein, Washington
Richard Klug, Johannesburg
Sibylle Licht, Neu-Delhi
Sven Lohmann, London
Oliver Mayer, Neu-Delhi
Oliver Mayer-Rüth, Istanbul
Christiane Meier, New York
Anja Miller, Rom
Ulli Neuhoff
Nikolaus Neumaier, Wien
Markus Preiß, Brüssel
Ariane Raabe
Sabine Rau, Paris
Sandra Ratzow, Singapur
Clas Oliver Richter
Heribert Roth
Ina Ruck, Moskau
Daniel Satra, Peking
Stefan Schaaf, Madrid
Isabel Schayani
Tibet Sinha
Petra Schmitt-Wilting
Sabine Scholt
Michael Schramm
Uwe Schwering, Tokio
Wolfgang Wanner, Genf
Katharina Willinger, Istanbul